Viktor Ullmann

Geboren am 1. Januar 1898 im damals österreichischen Teschen. Der Vater Maximilian Ullmann konnte als assimilierter Jude die Laufbahn eines Berufsoffiziers einschlagen. Im Ersten Weltkrieg wurde er zum Oberst befördert und in den Adelsstand erhoben. Viktor Ullmann selbst bezeichnete sich als "konfessionslos".

In Wien begann er 1914 den Theorie-Unterricht bei Josef Polnauer; nach dem Kriegsabitur 1916 nahm er als Freiwilliger am Krieg teil; 1918 wurde er auch in Schönbergs Kompositions-Seminar aufgenommen. Er studierte bei Schönberg selbst Formenlehre, Kontrapunktik und Orchestrierung. Ullmann war ein ausgezeichneter Pianist, wenn auch ohne Ambitionen auf eine Solistenkarriere. 1919 siedelte er nach Prag über und nahm Kompositions-unterricht bei Heinrich Jalowetz, seine Klavierstudien bei Eduard Steuermann in Wien setzte er von Prag aus fort. Im Herbst 1920 wurde er als Chordirektor und Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung an das Neue Deutsche Theater unter Zemlinsky berufen. Er engagierte sich auch im Prager Verein für musikalische Privataufführungen, in dem er 1924 mit heute verschollenen Orchesterliedern erstmals als Komponist öffentlich auftrat.

Mit Zemlinskys Positionswechsel nach Berlin ging Ullmann als Operndirektor nach Aussig/Elbe (1927/28), in den Spielzeiten 1929-31 als Kapellmeister an das Schauspielhaus Zürich. Auf dem Genfer Musikfest der IGNM 1929 errang er mit den Variationen und Doppelfuge über ein Thema von Schönberg für Klavier op. 3a seinen ersten internationalen Erfolg. In diese Zeit fällt auch die Bekanntschaft mit der Anthroposophie; mit der Übernahme eines anthroposophischen Buchladens in Stuttgart (1931) beschloss er, sich ganz in ihren Dienst zu stellen. Allerdings sah er sich 1933 - nach der "Machtergreifung" - gezwungen, Deutschland zu verlassen.

In Prag baute er sich als Musiklehrer und -journalist mühsam eine neue Existenz auf. Er begann wieder zu komponieren und fand auch öffentliche Anerkennung: Er errang den Emil-Hertzka-Gedächtnispreis der Universal Edition 1934 für die Orchesterfassung (op. 5) der sog. Schönberg-Variationen (op. 3 a) und 1936 für die dreiaktige Oper Der Sturz des Antichrist auf das Drama des Anthroposophen Albert Steffen; 1938 wurde sein heute verschollenes 2. Streichquartett auf dem Londoner Musikfest der IGNM aufgeführt.

1935-37 nahm er Kompositionsunterricht bei dem Viertelton-Komponisten Alois Hába, auch er Anthroposoph. Sein geistiges Suchen geht stetig weiter und so, obwohl inzwischen Mitglied der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum in Dornach, wendet er sich noch einmal den Freimaurern zu, wie schon während seiner Zürcher Zeit, beschäftigt sich mit fernöstlichen Meditationstechniken etc. Alles zusammen ist nicht in Einklang zu bringen; und so gerät Ullmann in eine tiefe psychische Krise, die sich zeigt in Depressionen, Verfolgungswahn und Schlaflosigkeit. Verschiedene Versuche der Heilung haben nur wenig Erfolg, bis er schliesslich "das Heft selbst in die Hand nimmt" und in einer Art Selbstheilung das sog. 'Tagebuch in Versen' – Der fremde Passagier verfasst, indem er sich vorwiegend mit dem Problem des Doppelgängers auseinandersetzt, und es sich sozusagen von der Seele schreibt. Ein Beispiel nur:

Ballade vom Schachspiel Dein Leben ist der Preis, um den sie spielen. Zwar Weiss zieht an, doch Schwarz folgt immer nach - will Ahriman das Menschentier erzielen, spielt Luzifer um deinen Engel Schach. Es wird auf Raub gespielt, es fallen Bauern und nie wird einer von den beiden satt. Wie sie einander auf den König lauern, setzt keiner je den andern Spieler matt. Du lern' an diesem Spiel, die Steine wählen und ziehe selber deine Schachpartie - sonst spielen ewig sie um deine Seelen und besten Falles endet es remis.

Im März 1939 wird Prag von Hitler besetzt. Ullmann kann noch im Sommer 1938 in London der Aufführung seines 2. Streichquartetts beim IGNM-Fest beiwohnen (1941, als beim IGNM-Fest in New York seine 1. Klaviersonate mit ebenso riesigem Erfolg besteht, hat er keine Reisefreiheit mehr), er kann ein letztes Mal Dornach besuchen, die damalige Uraufführung von Goethes Faust aufnehmen, sogar ein kurzfristig anberaumtes Konzert bestreiten… Und er hat sich verschiedentlich verzweifelt um Emigration bemüht, doch ohne Erfolg. So gerät er in größte und bedrohliche äußere Schwierigkeiten, doch sein Schaffensdrang ist ungebrochen. Seine innere Haltung, seine klare innere Sicherheit lassen ihn unbeirrt weitergehen. So organisiert er (verbotene Haus-) Konzerte, ist nach wie vor als Musikpädagoge tätig, gibt eine große Anzahl eigene Kompositionen in einem sogenannten Selbstverlag heraus, unter ständiger Gefahr entdeckt zu werden, und es entstehen eine Vielzahl von weiteren Werken.

Seine zu spät begonnene Suche nach Auswanderungsmöglichkeiten blieb ohne Erfolg. Am 8. September 1942 wurde Ullmann nach Theresienstadt deportiert. Dort wurde er "Leiter der Sektion Musik der Freizeitgestaltung", für die er - zusammen mit Gideon Klein, Pavel Haas und Hans Krása - komponierte und organisierte. Dort gründete er auch ein "Studio für Neue Musik". Seinen Konzertkritiken (herausgegeben von Ingo Schultz) verdanken wir wesentliche Kenntnisse über das Musikleben in Theresienstadt.

Lassen wir Ullmann selbst vermächtnishaft zu Wort kommen (aus seinem Essay Goethe und Ghetto, geschrieben in Theresienstadt im Sommer 1944):

Theresienstadt war und ist für mich Schule der Form. Früher, wo man Wucht und Last des stofflichen Lebens nicht fühlte, weil der Komfort, diese Magie der Zivilisation, sie verdrängte, war es leicht, die schöne Form zu schaffen. Hier, wo man auch im täglichen Leben den Stoff durch die Form zu überwinden hat, wo alles Musische in vollem Gegensatz zur Umwelt steht: Hier ist die wahre Meisterschule… Ich habe in Theresienstadt ziemlich viel neue Musik geschrieben, meist um den Bedürfnissen und Wünschen von Dirigenten, Regisseuren, Pianisten, Sängern und damit den Bedürfnissen der Freizeitgestaltung des Ghettos zu genügen. Sie aufzuzählen scheint mir ebenso müßig wie etwa zu betonen, dass man in Theresienstadt nicht Klavier spielen konnte, solange es keine Instrumente gab. Auch der empfindliche Mangel an Notenpapier dürfte für kommende Geschlechter uninteressant sein. Zu betonen ist nur, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, dass wir keineswegs bloss klagend an Babylons Flüssen sassen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war; und ich bin überzeugt davon, dass alle, die bestrebt waren, in Leben und Kunst die Form dem widerstrebenden Stoffe abzuringen, mir Recht geben werden.

Am 16. Oktober 1944 wurde Ullmann, zusammen u.a. mit den anderen vier genannten Komponisten, auf Transport nach Auschwitz geschickt. Unmittelbar nach der Ankunft (am 17. oder 18. Oktober) wurde er ermordet.

Bis zur Deportation erreichte seine Werkliste die Opuszahl 41 und enthielt u.a. vier Klaviersonaten, zwei Streichquartette, Liederzyklen nach verschiedenen Dichtern, Opern, ein Klavierkonzert und ein Saxophonkonzert. Der größere Teil dieser Werke ist verschollen; die Manuskripte gingen wahrscheinlich während der Besatzungszeit verloren. Erhalten blieben 15 Drucke seiner zwischen 1936 und 1942 entstandenen Kompositionen, die Ullmann im Selbstverlag herausgegeben und einem Freund zur Aufbewahrung anvertraut hatte. Sie sind heute im Besitz der Karlsuniversität Prag.

Die Werke, die Ullmann im Ghetto/KZ Theresienstadt schuf – die Oper Der Kaiser von Atlantis, ein Streichquartett, drei Klaviersonaten, Liederzyklen übergab er in Theresienstadt seinem Freund, dem Literaturwissenschaftler Emil Utitz. Dieser konnte sie nach der Befreiung nach London mitnehmen. Von dort kamen sie nach langen Jahren endlich in den Besitz des Goetheanums Dornach. Ab den frühen 1990er Jahren sind sie, nach schwieriger Urheberrechts-Klärung, im Musikverlag Schott Mainz verlegt worden.

Nicht zuletzt Ullmanns wegen sowie überhaupt der Musik wegen, die seit den späten 1980er Jahren übergreifend mit dem Begriff „Verfemte Musik“ bezeichnet wird, ist 1991 die Pro Musica Viva – Maria Strecker-Daelen Stiftung gegründet worden, eine Tochter des Musikverlags Schott Mainz, benannt nach der Großmutter des jetzigen Verlagseigentümers. Diese Widmung war ein Resultat der Begegnung des Enkels mit der Musik in Veranstaltungen, die der im September 1990 – nach der Initialveranstaltung in der Berliner Akademie der Künste - gegründete Verein „musica reanimata – Verein zur Wiederentdeckung NS-verfolgter Komponisten und ihrer Werke seitdem erfolgreich propagiert.

Die Berliner Akademie der Künste war auch der Ort, an dem 11 Jahre später, im Dezember 2001, zum ersten Mal die Aufmerksamkeit auf Norbert von Hannenheim gelenkt wurde. Da war er Teil des Symposiums zum Thema der Schönberg-Schüler in Berlin.

Externe Links:
 
Wikipedia (mit weiterführenden Links)
Schott Music
Musica reanimata